Zum Selbstmord von Robert Enke ...
Verfasst: Donnerstag 12. November 2009, 22:20
... da ich ihn persönlich kennengelernt habe, hat mich das schon getroffen ... aber in den lezten zwei Tagen habe ich in den Medien selten etwas gelesen oder gesehen, was dem Anlass wirklich gerecht wurde ... bis gerade eben ... ich finde dieser Artikel ist wirklich gelungen und wert, gelesen zu werden, deswegen kopiere ich den mal hierher:
"Woher kommen all die Gefühle, die geradezu nationale Aufwallung, die sich zugleich sehr individuell, persönlich und authentisch äußert? Woher kommt der Schock, der wie ein Blitz die Republik getroffen hat? Woher die massenhafte Anteilnahme und das überwältigende Echo in den Medien?
Robert Enke, Torhüter des Bundesligisten Hannover 96, hat sich das Leben genommen - und die Republik trägt kollektiv Trauer. Es traf keinen Staatsmann, nicht Helmut Kohl und nicht Helmut Schmidt. Es verstarb kein Idol, kein Titan vom Format eines Oliver Kahn, kein Objekt der ganz großen Fanbegeisterung wie einst Fritz Walter oder Franz Beckenbauer, weder Fußballgott noch Kaiser.
Robert Enke war der bescheidene, zurückhaltende Typ, ehrgeizig, aber keiner, der das Blitzlicht brauchte und die roten Teppiche. Er war 13, als die Mauer fiel, ein Kind der DDR, im thüringischen Jena geboren. Wie Thomas Doll, Andreas Thom und Michael Ballack repräsentierte er das Zusammenwachsen der geteilten Nation, ganz unspektakulär. Schon in jungen Jahren spielte er im Ausland: in Istanbul, Lissabon, Barcelona, Teneriffa. Schließlich unterschrieb er in Hannover.
Dass heute ganz Deutschland um ihn trauert und selbst die "Tagesschau" seinen Tod wichtiger findet als Angela Merkels symbolischen Paris-Besuch, zeigt, dass es offenbar doch noch etwas anderes gibt als business as usual, als das übliche Geplapper der Mediengesellschaft.
Die Nachricht ist hier ein Endpunkt, der sprachlos macht: der Tod.
Das erste Entsetzen gilt dem Selbstmord an sich. Wer sich vor einen Zug wirft, obwohl er eine so tapfere Frau zu Hause hat und ein kleines Kind dazu, der muss schrecklich verzweifelt sein und ohne jede Aussicht auf Erlösung von dem Übel, das ihn seit Jahren heimsucht. Das berührt auch und gerade eine Gesellschaft, in der der Klamauk zur hauptberuflichen Beschäftigung von Millionen Menschen geworden ist, das besinnungslos-professionelle Herstellen von Unterhaltungswaren aller Art, mit denen die Lebenszeit prächtig gefüllt werden kann.
Etwa 9000 Menschen, meist von schweren Depressionen geplagt, nehmen sich jedes Jahr in Deutschland das Leben - Robert Enke ist nur einer von ihnen. Doch dass gerade der äußerlich strahlende Fußballheld, der Meister der Linie, der noch die schwierigsten Bälle rausgefischt hat, sich dem Leben geschlagen geben muss, erschüttert die Menschen. Die Sinnfrage nach dem "Warum?" kehrt schlagartig zurück, vor allem für jene, für die Fußball tatsächlich das Leben ist, jedenfalls ein existentieller Teil davon.
Die Ungeheuerlichkeit eines solchen Ereignisses wühlt auch deshalb auf, weil sie daran erinnert, wie verletzlich jeder von uns ist. Wenn selbst Oliver Bierhoff, der Inbegriff des weltgewandten Fußballmanagers, vor laufender Kamera in Tränen ausbricht, wissen wir, wie zerbrechlich all jene Projektionen von Erfolg und Coolness sind, die unserem Alltag den schönen Schein bescheren. Und genau das mag der nächste Grund dafür sein, warum die Anteilnahme am Tod Robert Enkes so überwältigend ist: Es gibt eben noch jenes Fußballdeutschland, das schon vor einem halben Jahrhundert wie gebannt an den Transistorradios hing, wenn am Samstagnachmittag die Mannschaften gegeneinander antraten. Wie viel dieser Sport zur Integration der Gesellschaft beiträgt, kann niemand messen.
Es ist aber gewiss tausendmal mehr als alle Sonntagsreden und Moralpredigten zusammen, und trotz aller Exzesse markiert dieses Spiel ein Gemeinschafts- und Lebensgefühl, das ein bisschen Transzendenz in unsere nahezu restlos säkularisierte Gesellschaft bringt: ein bisschen Hoffnung auf ein besseres Leben, und sei es nur bis zum nächsten Spiel, die Idee, ein Ziel aus eigener Kraft erreichen, sich selbst befreien zu können, den Durchbruch zu schaffen, ein Stück Zukunft zu erobern.
Es ist kein Zufall, dass die unzähligen Metaphern der Fußballsprache sehr viel mit dem Leben insgesamt zu tun haben, mit Sieg und Niederlage, mit Gefühl und Härte, Triumph und Alptraum. Deshalb fasziniert dieses dramatische Auf und Ab die Menschen. Fußball ist Spiel, Sport und Spannung, Freude und Begeisterung. Aber auch Ernst, für manche ist Fußball ein Stück vom Sinn des Lebens.
Die Kehrseite des schillernden Ballsports tritt nun mit aller Brutalität zutage. Manch einer mag sich gedacht haben: Er hatte doch alles. Prestige, Geld und einen der besten Jobs, den die Bundesrepublik zu vergeben hat. Doch nichts offenbart die Diskrepanz zwischen Heldentum auf dem Platz und privatem Unglück besser als Robert Enkes tiefe Angst, seine Depression könnte ans Licht der Öffentlichkeit kommen und ihn als kranken Schwächling erscheinen lassen, der weder ein Tor noch ein Kind hüten sollte.
Ob sich daran etwas geändert hätte, wenn man Robert Enke erzählte hätte, wie oft sich einst Willy Brandt unter dem Vorwand einer Grippe zurückzog, weil er unter akuten depressiven Schüben litt? Auch er wollte nicht, dass es die Öffentlichkeit erfuhr.
Nun ist es zu spät."
R.I.P. Robert Enke
"Woher kommen all die Gefühle, die geradezu nationale Aufwallung, die sich zugleich sehr individuell, persönlich und authentisch äußert? Woher kommt der Schock, der wie ein Blitz die Republik getroffen hat? Woher die massenhafte Anteilnahme und das überwältigende Echo in den Medien?
Robert Enke, Torhüter des Bundesligisten Hannover 96, hat sich das Leben genommen - und die Republik trägt kollektiv Trauer. Es traf keinen Staatsmann, nicht Helmut Kohl und nicht Helmut Schmidt. Es verstarb kein Idol, kein Titan vom Format eines Oliver Kahn, kein Objekt der ganz großen Fanbegeisterung wie einst Fritz Walter oder Franz Beckenbauer, weder Fußballgott noch Kaiser.
Robert Enke war der bescheidene, zurückhaltende Typ, ehrgeizig, aber keiner, der das Blitzlicht brauchte und die roten Teppiche. Er war 13, als die Mauer fiel, ein Kind der DDR, im thüringischen Jena geboren. Wie Thomas Doll, Andreas Thom und Michael Ballack repräsentierte er das Zusammenwachsen der geteilten Nation, ganz unspektakulär. Schon in jungen Jahren spielte er im Ausland: in Istanbul, Lissabon, Barcelona, Teneriffa. Schließlich unterschrieb er in Hannover.
Dass heute ganz Deutschland um ihn trauert und selbst die "Tagesschau" seinen Tod wichtiger findet als Angela Merkels symbolischen Paris-Besuch, zeigt, dass es offenbar doch noch etwas anderes gibt als business as usual, als das übliche Geplapper der Mediengesellschaft.
Die Nachricht ist hier ein Endpunkt, der sprachlos macht: der Tod.
Das erste Entsetzen gilt dem Selbstmord an sich. Wer sich vor einen Zug wirft, obwohl er eine so tapfere Frau zu Hause hat und ein kleines Kind dazu, der muss schrecklich verzweifelt sein und ohne jede Aussicht auf Erlösung von dem Übel, das ihn seit Jahren heimsucht. Das berührt auch und gerade eine Gesellschaft, in der der Klamauk zur hauptberuflichen Beschäftigung von Millionen Menschen geworden ist, das besinnungslos-professionelle Herstellen von Unterhaltungswaren aller Art, mit denen die Lebenszeit prächtig gefüllt werden kann.
Etwa 9000 Menschen, meist von schweren Depressionen geplagt, nehmen sich jedes Jahr in Deutschland das Leben - Robert Enke ist nur einer von ihnen. Doch dass gerade der äußerlich strahlende Fußballheld, der Meister der Linie, der noch die schwierigsten Bälle rausgefischt hat, sich dem Leben geschlagen geben muss, erschüttert die Menschen. Die Sinnfrage nach dem "Warum?" kehrt schlagartig zurück, vor allem für jene, für die Fußball tatsächlich das Leben ist, jedenfalls ein existentieller Teil davon.
Die Ungeheuerlichkeit eines solchen Ereignisses wühlt auch deshalb auf, weil sie daran erinnert, wie verletzlich jeder von uns ist. Wenn selbst Oliver Bierhoff, der Inbegriff des weltgewandten Fußballmanagers, vor laufender Kamera in Tränen ausbricht, wissen wir, wie zerbrechlich all jene Projektionen von Erfolg und Coolness sind, die unserem Alltag den schönen Schein bescheren. Und genau das mag der nächste Grund dafür sein, warum die Anteilnahme am Tod Robert Enkes so überwältigend ist: Es gibt eben noch jenes Fußballdeutschland, das schon vor einem halben Jahrhundert wie gebannt an den Transistorradios hing, wenn am Samstagnachmittag die Mannschaften gegeneinander antraten. Wie viel dieser Sport zur Integration der Gesellschaft beiträgt, kann niemand messen.
Es ist aber gewiss tausendmal mehr als alle Sonntagsreden und Moralpredigten zusammen, und trotz aller Exzesse markiert dieses Spiel ein Gemeinschafts- und Lebensgefühl, das ein bisschen Transzendenz in unsere nahezu restlos säkularisierte Gesellschaft bringt: ein bisschen Hoffnung auf ein besseres Leben, und sei es nur bis zum nächsten Spiel, die Idee, ein Ziel aus eigener Kraft erreichen, sich selbst befreien zu können, den Durchbruch zu schaffen, ein Stück Zukunft zu erobern.
Es ist kein Zufall, dass die unzähligen Metaphern der Fußballsprache sehr viel mit dem Leben insgesamt zu tun haben, mit Sieg und Niederlage, mit Gefühl und Härte, Triumph und Alptraum. Deshalb fasziniert dieses dramatische Auf und Ab die Menschen. Fußball ist Spiel, Sport und Spannung, Freude und Begeisterung. Aber auch Ernst, für manche ist Fußball ein Stück vom Sinn des Lebens.
Die Kehrseite des schillernden Ballsports tritt nun mit aller Brutalität zutage. Manch einer mag sich gedacht haben: Er hatte doch alles. Prestige, Geld und einen der besten Jobs, den die Bundesrepublik zu vergeben hat. Doch nichts offenbart die Diskrepanz zwischen Heldentum auf dem Platz und privatem Unglück besser als Robert Enkes tiefe Angst, seine Depression könnte ans Licht der Öffentlichkeit kommen und ihn als kranken Schwächling erscheinen lassen, der weder ein Tor noch ein Kind hüten sollte.
Ob sich daran etwas geändert hätte, wenn man Robert Enke erzählte hätte, wie oft sich einst Willy Brandt unter dem Vorwand einer Grippe zurückzog, weil er unter akuten depressiven Schüben litt? Auch er wollte nicht, dass es die Öffentlichkeit erfuhr.
Nun ist es zu spät."
R.I.P. Robert Enke